Tschüss Usenet!

Lange habe ich sie herausgezögert, die Entscheidung ob ich nun weiterhin das Usenet nutze oder nicht. Es ist entschieden: Nein.

Als damals alles anfing, war das Usenet in dieser Form zwar schon vorhanden, aber doch eher schlecht zu erreichen. Damals bestand der Internetzugang für den Normalbürger ohne universitären Background im wesentlichen aus einem Wählzugang zu einer Mailbox. Bei mir was das die TSH in Hagen. Diese Mailbox auf Basis des Zerberus-Systems stellte neben den lokalen Diskussiongruppen und E-Mail auch Verbindungen zu anderen Mailboxsystemen wie dem Mausnetz (ein sehr elitärer Haufen), dem Z-Netz, dem Fido (ein sehr restriktives System bei dem ich ständig ermahnt wurde und es doch nie gelernt habe) und eben auch dem Usenet zur Verfügung. Das war der Anfang meiner Usenet-Aktivitäten. Erinnert sich noch jemand an Crosspoint? Das ultimative Nerd-Werkzeug der damaligen Zeit. Konnte alles, konnte aber kaum jemand bedienen.

Besonderes Highlight waren auch die regelmäßigen treffen, die es bei den lokalen Mailboxen gab und man die Leute eben auch persönlich kennenlernen konnte. Das Ende der Mailboxen wurde in dem Moment eingeläutet als Internetzugänge erschwinglich wurden. Nach der Schließung der Box trennten sich jedoch die Wege und auch die Kontakte brachen dann irgendwann ab.

Das Usenet aber wurde jetzt direkt erreichbar. Nach ersten holprigen Anläufen wurde dann schnell klar, dass es ohne ein spezielles Programm nicht richtig funktioniert und auch keinen Spaß macht. Der Forté Free Agent wurde installiert und war das ultimative Newsgroup-Werkzeug (und es ist es in der Windows-Welt auch noch heute, denn es gibt keine wirkliche Konkurrenz). Irgendwann wurde bei mir die Free-Version dann gegen die normale Version ersetzt. Zwischenzeitlich starb das Projekt und es wurde etwas turbulent um den Agent, aber irgendwann übernahm dann der ursprüngliche Hersteller wieder das Ruder. Die Entwicklung ist jedoch trotzdem stehengeblieben. Neue Versionen erscheinen zwar, bringen aber eher weniger nützliche Funktionen. Ich habe mit der Version 4 aufgehört Updates zu kaufen — es kamen einfach keine interessanten Funktionen mehr.

Irgendwann wurde der normale News-Server (damals von T-Online) zu einem Problem. Postings wurden verschluckt oder kamen schlicht nicht an. Die Telekom (ja, das war kurz nachdem man sie von gelb auf grau umgestrichen hatte) filterte auf ihrem Server bisweilen recht stark, so dass dies teilweise einer Zensur gleichkam. Es musste ein neuer Server her. Auch hier fand sich schnell eine Alternative. Kostenpflichtig, dafür aber frei von jeder Filterung und frei von jedweder Zensur. Die Firma Altopia aus Übersee erlaubt wirklich echte freie Meinungsäußerung. Ich verwende deren Server seit vielen, vielen Jahren und war immer sehr zufrieden mit dem Service (ich hatte einen Account ohne Zugang zu den Binaries-Gruppen).

Das alles ist aber gar nicht das eigentliche Problem. Das Usenet war seit jeher nie ein Ort des gegenseitigen „bekuschelns“. Es wurde immer schon heiß diskutiert, beleidigt, unterstellt und für alles noch so offensichtliche ein öffentlich zugänglicher Beweis gefordert. Allerdings auf einer Basis, die doch irgendwie noch den Regeln einer zivilen Gesellschaft unterworfen war. Das hat sich in den letzten Jahren grundlegend geändert.

Die Menge an „Rauschen“ im Usenet hat mittlerweile in vielen Gruppen ein Maß angenommen, dass das maximal erträgliche weit überschreitet. In jede absolut sachliche Diskussion schalten sich früher oder später Trolle oder andere Vollpfosten ein, die außer Krawall nichts im Sinn haben und so auch der Diskussionskultur massiv schaden.

Wo waren sie, die Netcops? Jene Leute, die den ganzen Tag nichts anderes machten als andere Teilnehmer in die Schranken der Netiquette zu weisen (ohne dabei selbst die eigenen Regeln zu beachten) oder sie bei ihren Providern anschwärzten und Accountsperrungen veranlassten? Ja, sie haben genervt, aber sie schafften irgendwie auch ein bisschen Ordnung. Heute gibt es kaum noch Netcops und ich habe zumindest den Eindruck, dass dadurch auch ein großes Stück der Usenet-Kultur verschwunden ist. Aber was sollten sie auch heute noch tun? Die Zeit der Newsserver geht dem Ende zu, einige ISPs bieten schon gar keine eigenen Server mehr an, weil die Wartung zu teuer ist und zu wenig Personen überhaupt noch wissen, was das Usenet eigentlich ist (oder besser: war). Heute erreichen die Teilnehmer das Usenet über Web-Schnittstellen, die sich die Beiträge des Usenet aneignen und so tun, als sei es nur ein weiteres Webforum. Oder man nutzt Google, bei dem man recht anonym posten kann. Gerade bei Google ist es jedoch so gut wie unmöglich einen komplett freidrehenden Troll abzuklemmen oder ihn auch nur ermahnen zu lassen. Fremdcanceln (ein Teilnehmer löscht die Beiträge eines anderen) wird unter diesen Voraussetzungen zu einer Lebensaufgabe und kommt nicht immer sonderlich gut an.

In den letzten Jahren gab es eine sehr starke Abwanderung aus dem Usenet in andere Bereiche. Allerdings wanderten nicht die Trolle, sondern die Personen mit echtem Fachwissen, die sich einfach zu schade waren, neben fachlichen Diskussionen auch noch an Nebenschauplätzen Grabenkämpfe mit den Chaoten führen zu müssen. Die Trolle blieben und das Gewichteverhältnis verschob sich. Die Spezialisten tummelten sich fortan in Webforen (die aber auch wieder neue und teilweise noch unerträglichere Trolle hervorbrachten, eben jene denen die Einstiegshürde ins Usenet einfach intellektuell zu hoch war) oder schufen eigene Webseiten über die sie ihr Wissen zur Verfügung stellten.

Ich habe diesen Trend lange Zeit versucht zu übersehen, aber im vergangenen Jahr wurde dann doch immer deutlicher, dass das Usenet sein Verfallsdatum schon lange überschritten hat. Das ist sehr schade, denn es ist noch ein Teil des „alten“ Internet, der es bis weit in die Zeit des WWW hineingeschafft hat. Was sonst, aus den Anfängen des Internet ist heute noch vorhanden?

Meine Aktivitäten im Usenet reduzierten sich im letzten Jahr auf wenige Diskussionen mit wenigen Personen und die regelmäßigen Ankündigungen der Newton-Stammtische in Düsseldorf. Es waren neben immer knapper werdender Zeit vor allen Dingen die nicht mehr vorhandene Diskussionskultur und die zunehmende Abwesenheit von Personen mit echten fachlichen Background.

Den Account bei Altopia habe ich diese Woche schweren Herzens gekündigt. Damit geht etwas dahin, dass mich fast die Hälfte meines Lebens begleitet hat.

Es war eine schöne Zeit.

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